Skulpturen und Holzschnitte von Michael Niederegger im Haus59 Stilfs vom 1.7 bis 7.7.2018
Von Menschenhand Geformtes hat Michael Niederegger schon immer fasziniert und von seinen kindlichen Streifzügen rund um Stilfs brachte er archäologische Fundstücke mit nach Hause. Tonscherben, die noch die Fingerabdrücke der Menschen tragen, die in alter Zeit Gefäße aus Erde gemacht haben. Die ersten eigenen Fingerabdrücke prägten sich den kleinen Salzteigfiguren ein, die in endloser Reihe in der mütterlichen Küche entstanden und erste Werkstücke des selbstverständlichen Gestaltungswillens waren, der das Leben dieses Bildhauers prägt, der 1982 geboren ist.
Bald schon folgte das Holzschnitzen, wo er sich auch an den archaischen Formen der Stilfser Perchtenmasken versuchte. Doch von Anfang an ist es der menschliche Körper, der Michael Niederegger in seinen Bann zieht.
Und bis heute ist es der Mensch mit Körper und Seele, um dessen Essenz die Arbeit dieses Bildhauers kreist, der nach einer soliden Ausbildung an der Kunstschule in Gröden und an der Kunstakademie in Carrara am Kunstlyzeum Bozen lehrt und in seinem Stilfser Atelier schafft.
Dort entstehen in unterschiedlichen Materialien wie Terracotta, Zement, Stein, Kunststoff, Bronze und vor allem Holz stehende und sitzende Figuren, Köpfe und Torsi, Paare, Mütter mit Kindern und Figurengruppen, die das schöne Atelier in dem alten Stilfser Steinhaus bevölkern.
Da stehen ältere Arbeiten im Gespräch mit den neueren und erzählen von der Entwicklung dieses Künstlers, der sich über die klassischen Formen und frühere Reminiszenzen an die Zeit der Grödner Ausbildung immer weiter in eine ganz eigene Formen einschwingt, die diese Körper unter seiner Hand annehmen.
Diese schmalen Frauen nehmen sich nicht viel Raum, sie bleiben bei sich und in sich versunken. Es geht selbstvergessene Ruhe von ihnen aus, feine Sinnlichkeit und große Kraft. Es wirkt als ob diese geformten Menschen sich ganz dem Material hingeben, aus dem sie entstanden sind.
Wenn Michael Niederegger erzählt, wie sie werden, wird klar, dass das Holz, aus dem sie geschnitzt sind, und die vorgegebene Form des Baumes den Rhythmus vorgeben. Die Form dient zunächst dem natürlichen Material, das über die Gestaltung hinaus sein Eigenleben und seine Würde behält. Wenn sich Risse auftun, ist das Teil des Prozesses und darf sein, auch die Spuren der Bearbeitung sind nicht mehr als Erzählerinnen des Gestaltens.
Dieser Einklang mit dem Wesen und den Formen der Natur ist bei Michael Niederegger allumfassend. So wie seine Hände die Wesenszüge des Holzstückes erkunden, dem er sich zuwendet, ertastet er als leidenschaftlicher Kletterer die Felsformationen mit erfahrenen Händen und dem gesamten Körper, wenn er mit der Behändigkeit eines Weberknechts bis auf den Gipfel steigt. Berge sind für ihn wohl nichts anderes als große Skulpturen, steinernen Relikte kraftvoller Metamorphosen.
Nicht anders als ihr Bildhauer sind auch seine Gestalten Kinder des Hochgebirges, wirken oft wie rätselhafte Sagengestalten. Besonders die Torsi und Fragmente bewahren viel von ihrer Baumnatur, manche wirken so als ob genau der Augenblick festgehalten wäre, in dem sie sich aus einem Baum herauswachsen oder in ihn hinein: am Übergang vom Baumwesen zu Menschen.
Bei den überlebensgroßen Frauen ist dieser Eindruck noch stärker, wie segensreiche Salige scheinen sie über uns zu wachen im Fließen der Natur.
Zu den Figuren entstehen immer wieder auch schöne Holzschnitte, die Michael Niederegger durch ihre geschnitzte Natur ein weiteres dreidimensionales Spiel als Ausdrucksmöglichkeit eröffnen, das er gerne nutzt.
Für die zweite Sommerausstellung im Haus59 in Stilfs haben die Gestalten das Atelier verlassen und sind ein paar Häuser weiter ins Altdorf gewandert, wo sie sich in den Wohnräumen des kleinen Hauses, auf dem Balkon und im Garten niedergelassen haben, um von hier aus einen anderen Blick auf den Ortler zu werfen und ihr träumerisches Wesen zu wahren.
Text: Karin Dalla Torre
Fotos: Thomas Pichler