Von der Leichtigkeit der Tiefe

Zur Ausstellung von Anna Wielander Platzgummer „Der Same aber bleibt“ im Haus 59 Stilfs vom 1.-10.Juli 2017

Seit den 1970er Jahren webt Anna Wielander Platzgummer an einem Tuch aus schlichten und kostbaren Fäden. Es ist nicht aus changierender Seide, es nimmt sich zurück und besteht aus schwerem Leinen, aus Fasern, die sich lange im kühlen Wind des Vinschgau gewiegt haben.

Von Jahr zu Jahr gewinnt ihre ureigenste Textur an einer Tiefe, die sich aus volkskundlicher Forschung nährt, aus Literatur und Philosophie und Kunst. In den Arbeiten ist der intellektuelle Diskurs sublimiert, die Strenge einer gelebten Zen-Praxis wirkt mit. Die eigenen Gedanken und die Gedanken und Werke der anderen werden sorgsam durch rupfene Tücher gefiltert, die Essenz destilliert.

 

All die Worte und Kulturtechniken finden zurück in die Zeit der Zeichen, der Symbole, in die Zeit dieser ureigensten Sprache, die Menschen entwickelt haben. Die Bilder, die Objekte und Papierschnitte von Anna Wielander Platzgummer - auch ihre frühen Textilentwürfe - leben aus der Magie der Zeichen, die Menschen zuerst gestaltet haben und mit denen sie ihre Geräte und Behausungen in den Schutz der Mächte gestellt haben.

Der Lebensbaum, der Granatapfel, der Knoten, das Herz, die Vase, die Nelke, die Rosette, der Pfau, das Sonnenrad und das Kreuz, auch der Hirsch als Vermittler zwischen Himmel und Erde und als Symbol der großen Göttin, sie alle finden wir auf wertvollem altem Arbeitsgerät, auf den Wiegen für die Kinder, an den Häusern, in kostbaren, alten Stickereien ebenso wie heute auf industriellen Trachtenstoffen wieder.

Oft ist ihre ursprüngliche Bedeutung verblasst und den Menschen nicht mehr bewusst. Geblieben ist das Wissen von ihrer magischen Schutzfunktion und der Kraft, mit der sie die Dinge belegen.

 

Auch am Haus 59 in Stilfs, dem Dorf, das gar ein Sonnenrad im Wappen führt, finden sich an der Fassade, an der Haustür noch die alten Zeichen. Das kleine Haus soll diese Zeichen der Zeit bewahren und die Spuren der Hände, die es bewohnt haben. Es soll aber auch Platz bieten für die Kunst unserer Zeit. Hier soll für eine Weile das Wohnen mit Kunst gelebt werden können. Verändern sich bewohnte Räume durch gute Kunst?

 

Die Arbeiten von Anna Wielander Platzgummer eröffnen im Sommer 2017 eine Reihe von Ausstellungen, die hier folgen werden.  Es sind neue Arbeiten der Künstlerin, die meisten sind 2016 entstanden und wurden noch nie gezeigt. Es ist erstaunlich, welch feinen und vielschichtigen Dialog die Gebinde, Bilder und Papierschnitte mit dem Ort eingehen. Ganz und gar selbstverständlich wirken sie in den Räumen und entfalten ihre Kraft und Wärme, fast wie Ausblühungen der alten Mauern, die aus Bachsteinen erbaut wurden.

 

Dabei sind die Arbeiten nicht der Vergangenheit verpflichtet, sie gelten dem Leben und dem Licht, den großen Zusammenhängen. Sie vertrauen der Kraft und dem kreativen Potential der Natur, die uns belebt. Davon erzählt auch der Name der Ausstellung „Der Same aber bleibt“.

Überraschend aber bleibt die Leichtigkeit dieser Kunst, die nur aus dem Reichtum einer unauslotbaren Tiefe erklärbar ist, die ihr innewohnt.

 

 

Text: Karin Dalla Torre

Fotos: Thomas Pichler


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