Im Auge der krähe

In Stilfs ist es nicht überraschend, dass eine Formation von Annemarie Laners Krähen durch die Luke zum Dachboden hereinschlüpft, um nach dem Rechten zu sehen. Längst haben die „korrnrliadr“ von Luis Stefan Stecher die „posslte gratsch“ in die Identität dieses Haufendorfes eingewoben. In den rätselhaften Knopfaugen der weisen Vögel spiegeln sich die Arbeiten von Annemarie Laner, die für eine Weile in das kleine Haus eingezogen sind, und sich wie heimisch in Ecken und Nischen schmiegen, alte Mauern und Täfelung besetzen. Eine neue Zeitschicht. Das Gespräch zu diesen Werken, das in einer Galeriesituation erst eröffnet werden muss, ergibt sich im Kontext vieler gelebter Leben, die noch in diesen Räumen schwingen, ganz selbstverständlich. Es geht um das Sein, um seine Untiefen und Höhenflüge - mit den Schwalben - im Lebensbogen. All diese Arbeiten aus verschiedenen Werkzyklen eines Selbstgesprächs hängen an einem biografischen Lebensfaden und weisen doch weit darüber hinaus. Sie nähren sich aus Literatur und Text, und der seismographisch auf-zeichnende Duktus kommt, zuweilen flüsternd, aus dem Innen: Lebensschatten und auch Licht. Papier und Wachs sind die Haut, in die sich das Erlebte messerscharf oder flügelzart einritzt, oft fließt Blut. Viel Geheimnis bleibt, und dieses Haus weiß es zu wahren. Die papierenen „Schiachlan“ baumeln gesprächig in der Fensternische und erzählen von kleinen Füßen, die weit gewandert sind. Von Stilfs aus lange Zeit bis ins Schwabenland, Verletzlichkeit und Gefährdung. Auch sie folgen, wie so vieles in diesen Arbeiten einem literarischen Impuls, diesmal einem hüpfenden Mädchen bei Peter Bichsel. Wenn sie, von der Luft bewegt, aneinanderstoßen, weckt ihr Knistern unser inneres Kind. Die Krähen schweigen und wissen, was wird.

 

Text: Karin Dalla Torre


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